- Behindertenrechte
- Inklusion im Beruf
Ich bin ein bisschen aufgeregt, als ich aus dem Flugzeug steige. Es ist nicht mein erster Projektbesuch in Afrika mit Licht für die Welt – aber mein erstes Mal in Kenia. Mein erster Eindruck von Nairobi ist… Ganz anders als erwartet. Ich bin überrascht, wie modern die Stadt ist. Und wie riesig! Bargeld? Nicht notwendig. Fast alles bezahlt man mit dem Handy. Wir haben viel vor in den nächsten Tagen.
Wir, das sind: Elisa Vass von Ö1, Gregor Brandl von der Kronen Zeitung und ich – Natalie Plhak, Pressesprecherin von Licht für die Welt. Unsere Mission für die kommenden Tage: Uns vor Ort ein Bild zu machen von der Arbeit, die Licht für die Welt in Kenia leistet. Die Programmarbeit von Licht für die Welt Kenia und die einzelnen Lebensgeschichten hinter den Zahlen unserer Tätigkeitsberichte kennenzulernen. Und uns davon zu überzeugen, dass jeder Euro der Spenderinnen und Spender aus Österreich gut investiert ist und wirklich einen Unterschied macht.
Licht für die Welt Projekte in Kenia
In Kenia konzentriert sich Licht für die Welt auf die wirtschaftliche Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen. In den nächsten Tagen werden wir mehrere sogenannte “Microentrepreneure” kennenlernen: Kleinunternehmer*innen mit Behinderungen, die dank der Programme von Licht für die Welt erfolgreich wirtschaften und sich ihren Lebensunterhalt selbst verdienen, anstatt in Armut zu leben und auf der Straße betteln zu müssen. Wenn ich an die Geschichten denke, bekomme ich gleich wieder Gänsehaut… Doch eins nach dem anderen.
Neben Trainings für Menschen mit Behinderungen berät Licht für die Welt auch Unternehmen und öffentliche Einrichtungen auf ihrem Weg ein inklusives Arbeitsumfeld zu gestalten. Und beschäftigt selbst Mitarbeiter*innen mit Behinderungen, die wiederum eine Vorbildwirkung haben.
Es geht los – ab ins Hochland
Wir bleiben nicht lange in der Hauptstadt, sondern fahren schon am nächsten Tag weiter ins zentralkenianische Hochland. Genauer: Nach Laikipia County. Das Team von Licht für die Welt Kenia hat schon alles für uns organisiert und vorbereitet. Ich bin überrascht, wie pünktlich alle hier sind. Um 07:00 Uhr ist Abfahrt? Punkt 06:45 Uhr stehen alle bereit, um 06:55 sitzen alle im Auto und um 07:00 Uhr rollt das Auto los. Ich schäme mich ein wenig für das Vorurteil, dass in Afrika die Uhren anders ticken… Mal wieder der Beweis, dass man nicht alles verallgemeinern kann. Und Afrika ist eben auch kein Land, sondern ein Kontinent mit großen Unterschieden zwischen den einzelnen Ländern und Regionen.
“Meine Tante wollte mich ertränken”: Geschichten, die bewegen
Dennis Hombe, Kommunikationsverantwortlicher von Licht für die Welt Kenia, und nebenbei auch unser persönlicher Fotograf auf dieser Reise, begleitet unseren Projektbesuch in Laikipia. Nach mehreren Stunden Fahrt ist vom modernen Großstadtambiente nichts mehr zu spüren. Je weiter wir uns von Nairobi entfernen, umso ländlicher wird es. Und umso dünner wird die Luft – denn wir befinden uns bald auf fast 2.000 Metern Seehöhe!
Der erste Unternehmer, den wir kennenlernen, ist Elija Gatimu: Ein blinder Gemüsebauer.

Als er erzählt, wie er sein Augenlicht verloren hat, läuft es mir eiskalt den Rücken hinab: Elija arbeitete in einer Blumenfabrik, damals noch ohne Schutzausrüstung, trotz ätzender Chemikalien. Er war gerade einmal Anfang 20, als er durch einen Arbeitsunfall auf beiden Augen erblindete. Sein Arbeitgeber erklärte ihm, er sei selbst schuld – und feuerte ihn. Von einem Tag auf den anderen war Elija nicht nur blind, sondern auch arbeitslos. Aus der Not heraus begann er für sich selbst Essen anzubauen, um wenigstens nicht zu verhungern. Er traute sich kaum noch aus dem Haus, weil er sich ohne Augenlicht nicht mehr in der Welt zurechtfand. Der einst so lebensfrohe junge Mann wurde immer depressiver.
Zum Glück lernte er Licht für die Welt Projektmitarbeiter David Ndungu kennen. Elija wurde in das von Licht für die Welt finanzierte Programm zur Unterstützung von Microentrepreneuren aufgenommen, bekam ein Businesstraining und eine Schulung, um sich mit einem Blindenstock fortzubewegen. Außerdem wurde er finanziell unterstützt, um ein Bewässerungsbecken anzulegen. Dank diesem Regenauffangbecken und einer Handpumpe kann Elija auch in der Trockenzeit sein Obst und Gemüse bewässern. Dadurch hat er einen klaren Wettbewerbsvorteil und kann das ganze Jahr über anbauen, während andere Bauern und Bäuerinnen das halbe Jahr über buchstäblich “auf dem Trockenen sitzen”. Durch seine neue Aufgabe gewann Elija wieder neuen Lebensmut und Selbstbewusstsein.

Auch Licht für die Welt Mitarbeiter David freut sich sichtlich darüber, dass sein “Schützling” heute so erfolgreich ist. Er erinnert sich noch daran, wie am Anfang niemand etwas bei Elija kaufen wollte – aus Angst, selbst dadurch blind zu werden. Zum Glück ließen sich die abergläubischen Dorfbewohner*innen schlussendlich vom schmackhaften Obst und Gemüse, das es bei Elija das ganze Jahr über gibt, überzeugen und kaufen heute besonders gerne bei dem blinden Gemüsebauern ein. Doch die Geschichte zeigt, wie sehr Menschen mit Behinderungen in Kenia mit Diskriminierung und Vorurteilen zu kämpfen haben.
David weiß selbst, wie es ist, ausgegrenzt zu werden. Seit einer Polioerkrankung als Kind hat er ein verkürztes Bein und läuft auf Krücken. Seine Tante wollte ihn deshalb zweimal in einem Brunnen ertränken, weil er “eine Schande für die Familie” sei! Heute hat sich die Meinung seine Familie über ihn um 180 Grad gedreht – unter anderem dank seines angesehenen Jobs bei Licht für die Welt. Eine weitere Geschichte, die zeigt: Eine bezahlte Beschäftigung und wirtschaftliche Ermächtigung bedeutet für Menschen mit Behinderungen weit mehr als Geldverdienen und Selbstbestimmung.

Ein schönes Souvenir
Die Geschichte von Elija steckt mir noch in den Knochen, als wir bei Ann Wanja Mugo und ihrem Sohn John Kiratu zuhause ankommen. John ist 18 Jahre alt und lebt mit einer psychosozialen Behinderung. Er sitzt gerade hochkonzentriert an der Arbeit und webt einen Badezimmerteppich.

Auch John hatte es nicht leicht. Sein eigener Vater misshandelte ihn, schlug ihn und erzählte ihm, dass er zu nichts zu gebrauchen sei. Zum Glück konnte Mutter Ann sich und ihren Sohn schließlich aus der Gewalt des Mannes befreien. Sie zog mit John in ein anderes Dorf und sie begannen ein neues Leben. Heute hat Ann ein eigenes Restaurant. Das Gemüse, mit dem sie kocht, kauft sie übrigens bei Elija!
Ich bewundere Johns Hingabe beim Teppichknüpfen und verliebe mich sofort Hals über Kopf in seine handgefertigten Kunstwerke. Als ich erfahre, dass man diese kaufen kann, schlage ich direkt zu und gönne mir einen Teppich als Andenken an die Reise. In Zukunft werde ich also immer an unsere Reise nach Kenia zurückdenken, wenn ich in meinem Badezimmer aus der Dusche steige und meine Fußsohlen die flauschige Matte berühren…
Und ich bin nicht Johns einzige Kundin. In dem von Licht für die Welt finanzierten Programm für Microentrepreneure hat seine Mutter gelernt, wie sie seine Badezimmerteppiche erfolgreich vermarktet, seine Einnahmen und Ausgaben festhält und so seinen Lebensunterhalt verdienen kann. Dank der Einnahmen aus dem Verkauf leistet John einen wertvollen Beitrag zum Familieneinkommen – und finanziert sogar das Studium seiner Schwester!
Von Imker zu Imkerin – mich frisst der Neid
Als nächstes lernen wir Stanley Mbobua kennen: Einen Imker, der sich seit einem Motorradunfall nur noch mühsam und nur am Stock fortbewegen kann. Überall summt und brummt es, und ich fühle mich gleich wieder wie zuhause, denn ich bin selbst Imkerin und habe mehrere Bienenstöcke in Österreich. Als Stanley erzählt, wie oft er Honig ernten kann, werde ich grün vor Neid und überlege kurz, nach Kenia auszuwandern: Während er zwischen sieben und achtmal im Jahr Honig gewinnt, kann ich das maximal ein bis zweimal. Es hat also seine Vorteile, am Äquator zu wohnen, wo es keine Jahreszeiten gibt wie bei uns!
Stanleys Geschäft ist aber nicht nur seine eigene Honigernte, sondern auch die Ernte anderer Imker*innen: Mit der Unterstützung von Licht für die Welt hat er einen Honiggewinnungsraum gebaut: Hier können Imker*innen ihren Honig hinbringen. Stanley reinigt ihn dann von Wachs- und Bienenrückständen und füllt ihn in Flaschen mit schönem Etikett ab. Dadurch können die Imker*innen ihren Honig zu einem höheren Preis verkaufen – und Stanley bekommt Geld für seine Dienstleistung.
Außerdem gibt der langjährige Imker sein Wissen zu moderner Imkerei weiter: Traditionell benutzen Imker*innen in der Region einen Baumstamm für ihre Bienen. Das sieht zwar ziemlich abgefahren aus, ist aber eine nicht besonders erträgliche Art der Honiggewinnung. Zudem werden die Imker*innen dabei oft gestochen. Stanley lehrt deshalb eine modernere Art der Imkerei mit Hilfe von herausnehmbaren Waben. Die dafür eingesetzten Rahmen lässt er auch gleich selbst von einem extra dafür eingestellten Mitarbeiter bauen und verkauft sie weiter an interessierte Imker*innen. Ein echter Geschäftsmann, dieser Stanley!
Ich bin sehr beeindruckt und verstehe mich auch gleich bestens mit seiner Tochter Catherine Karwitha. Sie unterstützt Stanley bei der Vermarktung seines Honigs und seines Angebots den Honig zu filtern und abzufüllen. “Von Licht für die Welt haben wir sehr viel gelernt. Sie haben uns auf Seminare eingeladen und uns viele Trainings ermöglicht”, erzählt sie glücklich.
Von Einzelschicksalen zum strukturellen Wandel
Ich könnte noch so viel erzählen von unserem Projektbesuch. Zum Beispiel von Simon Irungu Mwangi, der – neben seinem Job als Lehrer – gemeinsam mit seiner Frau ein kleines Geschäft eröffnet hat. Oder vom gehörlosen Dominic Maloko Omondi, der ein Gebärdensprachenzentrum aufgebaut hat und Gebärdensprachkurse anbietet für hörende Menschen. Damit sie mit gehörlosen Angehörigen oder Mitschüler*innen kommunizieren können! Es sind bewegende Schicksale, denen wir begegnen. Und sie wirken nach.
Auf dem Weg zurück überlege ich, was all die Geschichten, die wir gehört haben, gemeinsam haben. Und erkenne: Alle Menschen mit Behinderungen, die wir getroffen haben, haben von ihrem Umfeld – manchmal sogar der eigenen Familie – gehört, dass sie aufgrund ihrer Behinderung zu nichts zu gebrauchen sind. Bis sie es irgendwann selbst geglaubt haben. Licht für die Welt hat ihnen gezeigt, dass das nicht stimmt. Und so den Weg geebnet für ein neues, besseres Leben.
Manchmal braucht es gar nicht viel, um das Leben eines Menschen und seiner Familie grundlegend zu verändern: Ein erster Schritt ist schon, dem Menschen eine Chance zu geben, zu zeigen, was in ihm steckt: Sei es ein innovativer Gemüsebauer, ein begnadeter Imker oder ein kreativer Teppichweber.
Wenn Sie mehr über den Projektbesuch in Kenia erfahren möchten, finden Sie hier das Ö1 Journal-Panorama von Elisa Vass zum Nachhören: https://www.youtube.com/watch?v=tmFOKb40jVY